Warum hören wir so gerne Märchen?
Mit ihren Märchenabenden trägt Bettina Krauß seit langem zum kulturellen Leben in Winden bei. Doch warum eigentlich noch Märchen lesen in einer Zeit, in der Computer und elektronische Spiele das Leben vieler Kinder beherrschen? Und: Sind Märchen vielleicht auch etwas für Erwachsene? Was bedeuten Märchen eigentlich. Passen sie noch in unsere Welt? Bettina Krauß hat sich dazu Gedanken gemacht und diese niedergeschrieben. Wir veröffentlichen sie hier in ungekürzter Form. Übrigens: Am heutigen Mittwoch ist wieder Märchenabend. Zum 21. Mal. Auf dem Acker 3.
„Märchen sind doch nur für Kinder!?
Diese gängige Ansicht wird von vielen Menschen vertreten, die gerne dabeisitzen, wenn den Kindern Märchen erzählt werden.
Aber warum hören wir so gerne Märchen?
Weil Märchen uns an die alten Zeiten erinnern, als das Gute immer siegte?
Oder weil damals die ganze Welt noch recht einfach war? Denn eine böse Tat war böse + wurde bestraft, eine gute Tat ist gut + wird belohnt! Wer böse ist, bekommt einen Mühlstein um den Hals + wird depressiv, denn Sünden sind eine Last. Wer ein Dummling ist, bekommt das Gold + die Prinzessin… So einfach kann das Leben sein. (Nur damals?)
Märchen sind poetisch gestaltete Menschheitserfahrungen. Sie zeigen uns, wie wir „Menschenkinder“ trotz unüberwindlich erscheinender Hindernisse zu Erlösung + Glück finden. Märchen haben einen bedeutenden Lebensbezug.
Im Märchen kommt das Böse nie auf Dauer zur Herrschaft sondern immer nur vorübergehend. Wenn wir uns auf es einlassen können, ohne mit unseren Verstand jeden Satz zu sezieren, so spüren wir ein inneres Wohlgefühl. Unser Urvertrauen wird auf eine sanfte Art + Weise gestärkt. Wir können Kraft für den Alltag gewinnen.
Märchen gehören zu den großen Schätzen unserer Kultur, denn in ihnen leben unsere Mythen weiter. Noch bei den Kelten gab es die weiße Göttin im Osten, mittags die rote Göttin + abends die dunkle Göttin im Norden, so zu finden bei Schneeweißchen + Rosenrot.
Oder wir erfahren von verwunschenen Schwänen, die ja bei uns heute noch bewundert werden ob ihrer Eleganz + ihres weißen Federkleides. Früher waren sie die Botschafter der Anderswelt. Noch heute „schwant“ uns manchmal etwas, das wir rational aber nicht erklären können.
Im mythischen Denken sieht der Mensch noch die Wesen im Wasser, sieht, daß Baum, Wald + Bach leben + Gott/Natur im Gewitter spricht…
In den Märchen finden sich Archetypen, die die Urkonflikte zwischen Menschen, zwischen Mensch + Natur sowie zwischen Menschen + höheren Wesen darstellen. Auch heute fällt es vielen von uns oft schwer, Insekten nicht als notwendiges Übel anzusehen. Wenn der Held z. B. den Tieren beisteht gegen seine eigenen Brüder, so helfen diese später ihm. Denn kleine Ameisen können leicht 1.000 Perlen im waldigen Moos finden, wenn man sie darum bittet. Und Enten können ganz leicht einen Schlüssel vom Grund eines Teichs hoch holen! Und Bienen kennen sofort den Unterschied zwischen Zucker + Honig…
Märchen schildern seelische Entwicklungen in Bildern. Das, was in unserer Seele so schwer durchschaubar durcheinander geht, stellt das Märchen in klar voneinander unterschiedenen Personen „auf die Bühne“.
Märchen veranschaulichen auch Seelenvorstellungen, z. B. steigt ein Mensch als Rauch zum Himmel empor…
Z. B. kann ein Wald ein geschützter Raum sein, wo man eine wichtige Erfahrung machen kann. Dabei geht es nicht um Durchsetzung + Macht als Mittel zum Sieg, d.h. der Lösung, sondern gefragt sind Demut + Gelassenheit. In einem Wald verlässt das Mädchen seinen Weg, um selbstständig zu werden. Es begegnet seinem ärgsten Gegner. Aber es kann den Kampf gewinnen, da es furchtlos + ein guter Mensch ist. Deshalb hat sie einen Freund, der genau im richtigen Moment erscheint + das Mädchen + seine Großmutter rettet… Bester Schutz sind eben immer ein „reines Herz + ein wahrhaftiges Gemüt“!!!
Märchen spiegeln die Kultur eines Volkes wider. Landschaft, Brauchtum + Rituale finden sich in den Märchen wieder.
Z.B. ist jemand ungefährdet, wenn man seinen Namen nicht kennt. Das war schon bei Rumpelstilzchen so!
Z. B. wurden alte Menschen früher wegen ihrer Weisheit geschätzt, was heutzutage manchmal etwas verloren gegangen ist…
Auch die Naturbewahrung könnten wir den Märchen entnehmen. Verhalten wir uns heute den Pflanzen + Tieren so achtungsvoll gegenüber, wie es im Märchen oft gelebt wird? Wenn z. B. der Dummling die Ameisen, Enten + Bienen schützt, so gereicht ihm das später enorm zum Vorteil. Denn wer anderen Lebewesen etwas Gutes tut, dem wird immer etwas Gutes zuteil.